Typisch Ostdeutsch
„Reiß das doch nicht auf wie ein Westpaket!“ Dieser Satz teilt wahrscheinlich Deutschland, denn während die eine Hälfte verständnisvoll nicken würde, würde man in den Blicken der anderen nur Fragezeichen sehen. So ungefähr erlebte ich es selbst einmal während meines Studiums – das fragliche Paket war übrigens eine Packung Kekse, die etwas rabiat geöffnet wurde. Freunde von mir, die im westlichen Teil Deutschlands mit ebenso westdeutschen Eltern aufwuchsen, verstanden absolut nicht, was ich damit meinte, denn diese Aussage ist anscheinend nur in Ostdeutschland geläufig.
Sie geht auf die Zeit der innerdeutschen Teilung zurück. Damals war es für Ostdeutsche praktisch unmöglich, in den Westen zu reisen. Im Gegenzug aber fanden etliche Pakete ihren Weg über die Grenze. Diese wurden von Verwandten geschickt, die nach der Teilung in der Bundesrepublik lebten, und waren gefüllt mit allerlei Produkten, mit denen man als Schüler im Osten der König des Schulhofs war. Dabei waren dies so alltägliche Dinge wie Westkaffee, Kaugummi, Schokolade oder coole Schlaghosen. Doch sie kamen aus einer schier unerreichbaren Region. Umso aufgeregter war man, wenn der Postbote ein Paket brachte, und öffnete dieses dann enthusiastisch. So erklärt sich dieses Sprichwort, das die Wiedervereinigung überlebt hat und damit eigentlich hätte irrelevant werden müssen. Aus dem Sprachgebrauch verschwand es aber trotzdem nicht, sondern nistete sich auch in den Köpfen meiner Generation ein, die erst zur Wende geboren wurde, also nie Westpakete erhalten hatte.
Unterschiedliche Wörter – gleiche Bedeutung?
Doch nicht nur an solchen Aussagen kann man auch heute noch einen Unterschied zwischen den beiden Teilen Deutschlands festmachen. Jedes in Ostdeutschland aufgewachsene Kind kennt den Begriff Polylux (eigentlich der Name des Herstellers). Fährt man jedoch in den Westen, so wird man bei der Verwendung dieses Wortes wieder in verwirrte Gesichter schauen. Hier kennt man das Gerät nämlich unter dem Namen Overheadprojektor.
Wenn es um Uhrzeiten geht, klappt die Ost-West-Einteilung nicht mehr ganz so einwandfrei. Schaut ein Schweriner auf die Uhr und sieht 10:15 Uhr, wird er sagen, dass es Viertel Elf ist. Zeigt die Uhr 10:45 Uhr an, so ist es Dreiviertel Elf. Der Kölner, der ihn gerade nach der Zeit gefragt hat, wird sich nun wundern, ob damit Viertel nach Zehn oder Viertel nach Elf gemeint ist (was beides nicht der Fall ist). Die ältere Dame aus dem bayrischen Dorf weiß jedoch Bescheid. Diese zwei Systeme der Zeitangabe teilen die deutschsprachige Region diesmal eher geografisch als entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Allerdings kann man auch hier wieder einen Ost-West-Unterschied feststellen. Im Laufe der Zeit hat sich nämlich im Süden die westliche Version durchgesetzt, zumindest in den jüngeren Generationen. Während das ehemalige Ostdeutschland seiner Zeitansage generationsübergreifend treu blieb.
Neben den Dialekten, die Deutschland ohnehin in viele kleine Regionen teilen, gibt es aber noch viel mehr Wörter, die in der ehemaligen DDR ihren Weg in den täglichen Sprachgebrauch fanden und bis heute ein fester Bestandteil geblieben sind. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Wörter ist sowjetischen bzw. russischen Ursprungs.
Hier bietet sich der Blick auf etwas typisch Deutsches an: die Kleingartensparte. Diese gibt es zu Hauf in jeder deutschen Stadt, und fast immer befindet sich ein Gartenhäuschen in den einzelnen Parzellen. Oftmals sind diese Häuschen sehr gut ausgestattet mit einer kleinen, aber funktionalen Küche, einem Raum zum Schlafen und einem nicht allzu großen Bad. Im ostdeutschen Raum würde man dieses kleine Gebäude Datsche (von russ. дача) nennen, im Westen Wochenendhaus oder eben Gartenhaus.
Und so könnte es dort ablaufen: Während der Fernseher in der Datsche läuft, meckert man gerne über die viele Reklame, in der viel zu viel Zeugs aus Plaste angepriesen wird, während man doch nur eine Dokumentation über Kosmonautengucken wollte. Wenn wir das jetzt „übersetzen“, dann läuft im Fernsehen des Wochenendhauses viel Werbung für Dinge aus Plastik, während man eine Dokumentation über Astronauten schaut.
Auch kulinarische Unterschiede lassen sich ausmachen. Manche Gerichte wird die Gegenseite kaum bis gar nicht kennen: Jeder Ostdeutsche weiß, was Soljanka ist, die Frankfurter Grüne Soße ist hingegen eher unbekannt. Oder fragen Sie mal einen Cottbuser und einen Mannheimer, was sie unter einem Jägerschnitzel verstehen. Der Herr aus Cottbus wird sagen, dass dies ein Gericht aus einer panierten, gebratenen Jagdwurstscheibe mit Nudeln in Tomatensoße ist. Sein Bekannter aus Mannheim wird dafür plädieren, dass es sich um ein Schnitzel mit einer Pilzsauce und Kartoffeln handelt. Manchmal haben aber auch gleiche Gerichte unterschiedliche Namen. Im großen Teilen des Ostens nennt man einen Kloß aus Hackfleisch Bulette, im Westen eher Frikadelle.
Große Verwirrung kann man mit dem Wort Pfannkuchen stiften. In Westdeutschland handelt es sich um eine warme Süßspeise, ein etwas dickerer Crêpe. Im ostdeutschen Raum hingegen, besonders um Berlin, wird damit eine Art gefüllter Donut bezeichnet, den man im Rest der Republik eher als Berliner oder Krapfen kennt.
Dialektaler Einfluss
Wie bereits erwähnt, kann man Deutschland nach seinen Dialekte einteilen. Natürlich hat dies eher weniger mit der vormals innerdeutschen Teilung zu tun. Allerdings kann fast jeder den „Ostdeutschen“ an seiner Aussprache erkennen (hier bleibt der Norden mit seinem Platt etwas außen vor). In Sachsen-Anhalt kennt man den nicht ganz korrekten Spruch „Der Magdeburger spricht das klarste a“. Die Pointe ist, dass das a einem offenen o ähnelt. Der Buchstabe g kann auf zahlreiche verschiedene Weisen ausgesprochen werden, wobei die Aussprache als „echtes“ g eher selten ist, was man am Voreljesank in Machdeburch sehr schön hören kann. Auch das ch hat sich dem sch angenähert, sodass man als Außenstehender häufig nur aus dem Kontext versteht, ob es gerade um die Kirche oder die Kirsche geht. Ähnliches kann man auch in den sächsischen Dialekten beobachten, weshalb diese Art zu sprechen sehr schnell mit einer typisch ostdeutschen Aussprache assoziiert wird.
Die Dialekte aus Brandenburg und Berlin verfügen über weitere Laute, die als charakteristisch für das Ostdeutsche gelten. Ein g am Wortanfang wird gerne zum j, aus gerne wird also jerne und aus gut wird jut. Aus dem Diphthong ei wird ein langes ee, es heißt also meene Beene und nicht meine Beine. Eine weitere Besonderheit der Region sind die Personalpronomen: In Berlin und Brandenburg heißt es nämlich ick(e) statt ich und regional sogar dick statt dich, aber nur, wenn man nicht einfach den Dativ dir verwendet –wie in ick hab dir lieb.
Deutsche Sprache – schwere Sprache. Das hört man immer wieder, und natürlich meinen Lernende damit eher die Grammatik und beziehen sich auf die Artikel, die Kasus und die vielen unregelmäßigen Verben und Pluralformen. Doch hier zeigt sich, dass manchmal sogar die Deutschen untereinander ihre Schwierigkeiten haben, einander zu verstehen. Gleichzeitig lädt dieser Umstand dazu ein, die verschiedenen Regionen mit ihren regionalen Besonderheiten kennenzulernen und zu entdecken. Dann stellt man vielleicht sogar fest, dass die ehemalige innerdeutsche Grenze, die noch in vielen Hinterköpfen existiert, nicht die einzige Linie ist, anhand der man das Land unterteilen kann. Klare Unterschiede lassen sich ebenso zwischen Nord und Süd oder zwischen dem Ruhrgebiet und dem Saarland ausmachen, und vielleicht sind diese Unterschiede auch nur ein Zeichen der Vielfalt, die man schätzen und pflegen sollte.